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Riefenstahls Olympia-Filme

Viel wurde und wird über die beiden Olympia Filme von Leni Riefenstahl gesagt, geschrieben und diskutiert. Arischer Körperkult und Evangelium der Schönheit, dokumentarische Qualität und ausgebeutete Realität: dies sind die Pole zwischen denen die Meinungen oszillieren. Nur in einem Punkt scheinen alle überein zu stimmen: die umstrittenen Olympia-Filme sind ganz sicher – beeindruckend.

Schon bei den Dreharbeiten setzte die Riefenstahl Maßstäbe. Mit einem Team von mehr als 150 Mitarbeitern wurden über 400 km (!) Film belichtet. Allein die Sichtung des Materials nahm zehn Wochen in Anspruch. Der Schnitt dann noch einmal anderthalb Jahre. Zum Schluss kam man auf ein unglaubliches Drehverhältnis von 1:67.

Bereits die etwa halbstündige Exposition des Films gehört wohl zu dem Monumentalsten was je auf einer Leinwand zu sehen war. Riefenstahl eröffnet einen Bogen von den Olympischen Spielen der Antike bis ins Jahr 1936. Dabei lässt sie sich aufreizend viel Zeit und zeigt Bilder von antiken Tempeln und Skulpturen, die sich langsam in reale Menschen zu verwandeln scheinen. Alles Mystisch angehaucht durch leistungsstarke Nebelmaschinen, transzendentale Musik und auffallend viele Überblendungen.

Nach dieser epischen Exposition, beschäftigt sich die Riefenstahl –scheinbar in dokumentarischer Manier- mit den Ereignissen der Olympischen Spiele von Berlin. Der Einmarsch der Nationen ins Stadion, der Applaus des Publikums, die Eröffnung der Spiele durch den „Friedensführer“… Wer dabei nach offenen propagandistischen, rassenideologischen oder arisch-nationalen Tiraden sucht, wird schnell überrascht sein. Es gibt keine tumbe Nazi-Propaganda… genauso wenig wie die oftmals beschworene dokumentarische Qualität des Films.

Denn obwohl die Riefenstahl scheinbar ganz objektiv die Leichtathletik-Wettkämpfe wiedergibt, ist sie von einer Dokumentation der Ereignisse weit entfernt. Die Bilder sind allesamt hochgradig dramatisiert, gestrafft und inszeniert. Riefenstahl vertritt ganz deutlich einen perspektivischen und ästhetisierenden Ansatz. So werden beispielsweise der Speerwurf und der Marathonlauf unter rein ästhetischen Gesichtspunkten aufgenommnen. Ganz zu Schweigen vom Wettkampf der Turmspringer, in dem –neben der Schwerkraft- auch die Chronologie außer Kraft gesetzt zu werden scheint. Spannungsaufbau und Inszenierung gehen sogar soweit, dass einzelne Wettkämpfe nachinszeniert wurden, um die richtigen Einstellungen und Aussagen zu finden. Somit haben die meisten Aufnahmen mit der Realität sehr wenig zu tun. Das Informative tritt gegenüber dem Ästhetischen deutlich zurück und das sportliche Ereignis gleitet (mal mehr, mal weniger) ins Reich der Ästhetik ab. Soweit nichts Schlimmes…

Kameratechnisch sind extreme Einstellungen keine Seltenheit. Besonders häufig ist die Froschperspektive (bei Riefenstahl wohl eher Anbetungsperspektive), bei der die Athletenkörper umso massiver und imposanter wirken. Diesbezüglich fällt auch die beeindruckende Montage der Bilder auf. Alles wirkt rhytmisch, fließend und definitiv durchdacht. Oft wird Spannung explizit durch Schnitte erzeugt; so unterscheiden sich Einstellungslängen im Verlauf des Films recht deutlich. Wieder tritt die künstlerische Ästhetisierung an die Stelle der dokumentierenden Informationsvermittlung.

Ein weiteres auffälliges Merkmal beider Filme, ist die hohe technische Meisterschaft mit der die Riefenstahl und ihre Kameraleute die Wettkämpfe einfangen. Es ist einfach beeindruckend wie die Kamera scheinbar mühelos neben den Sprintern entlangfährt, oder wie Flugaufnahmen über dem Olympiastadion die ausgelassene Stimmung der Spiele wiedergeben. Einige dieser innovativen Aufnahmemethoden wurden dabei eigens für den Film entwickelt bzw. perfektioniert. So beispielsweise Unterwasseraufnahmen, Zeitlupe, Teleobjektivtechniken, Aktion-Reaktion-Montage (Sportler-Publikum), die mitfahrende Kamera usf. Alles Verfahren die heutzutage -mehr als 70 Jahre nach diesem Film- zu Standardverfahren bei Sportberichterstattungen des Fernsehens gehören und ohne diesen Film wohl kaum vorstellbar gewesen wären. Die filmische Vorbildfunktion von Olympia ist definitiv unbestritten.

Ob der Aufwand gerechtfertigt ist? Aus bildästhetischer Sicht ohne Frage. Doch die Aussage hinter dem monumentalen Ansatz ist und bleibt mehr als fragwürdig; eben weil die diversen Verfahren der Stilisierung und Ästhetisierung nicht dem reinen Selbstzweck dienen. Schnell wird klar: im Mittelpunkt des Films steht der menschliche Körper bzw. die Kraft und die Schönheit desselben. Nur durch Kampf und Selbstdisziplin findet der Mensch zu seiner wahren Schönheit. Der perfekte Körper ist der disziplinierte Körper… Dies ist die gefährliche Essenz der Olympia-Filme.

So hinterlässt „Olympia“ einen äußerst zwiespältigen Eindruck. Die gestalterische Raffinesse und die epische Wucht des Films, verbunden mit der technischen Perfektion und der kühlen Schönheit der Riefenstahlschen Bilder beeindrucken und verstören zugleich. Was bleibt ist ein merkwürdig diffuses Kinoerlebnis.

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Olympia: Fest der Völker (D / 1936)

Olympia: Fest der Schönheit (D / 1936)

R: Riefenstahl / K: Riefenstahl u.a. / D: Riefenstahl


2 Antworten to “Riefenstahls Olympia-Filme”


  1. 6. November 2010 um 18:56

    Eine schöne Zusammenschau.


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Unter den Blinden…

Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Kein Anspruch auf Richtigkeit. Pure Subjektivität eines Einäugigen...

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