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Bewegliche Ziele

In seinem pessimistischen Debütfilm beschäftigt sich Peter Bogdanovich mit dem Leben zweier Männer, die genug von ihrem konsum- und profitorientierten Alltag haben und sich dabei auf ganz unterschiedliche Weise von ihrer Umwelt und ihren Mitmenschen abgrenzen. Der Eine, Byron Orlock, indem er die gesellschaftlichen Mechanismen hinterfragt und sich resignierend in den Zynismus flüchtet; der andere, Bobby Thompson, indem er sich einen Schokoriegel rein schiebt, das Ganze mit einer Flasche Cola runterspült und ein paar Menschen in den Kopf schießt…

Dabei könnte Bobby – das Zerrbild eines lindfarben gekleideten, allglatten All-American-Boy der 60er Jahre – eigentlich mit seinem Leben zufrieden sein. Er fährt ein schnelles Auto, hat eine hübsche Frau und lebt in einer gutbürgerlichen Wohngegend. Dennoch merkt man schnell, dass mit dem jungen Mann etwas nicht stimmt. Er wirkt auf irritierende Weise gelangweilt und scheint stets auf der verzweifelten Suche nach Veränderung zu sein. Die kläglichen Versuche mit seinen Mitmenschen über seine Probleme zu sprechen schlagen fehl; mal wird er ignoriert, mal scheint er unfähig sich zu öffnen. Schwer vorstellbar: der beruflich erfolgreiche, gesellschaftlich akzeptierte Jedermann ist sozial isoliert.

Ähnlich geht es auch dem alternden Horrorfilmdarsteller Byron Orlock – gespielt von Boris Karloff. Auch er hat genug von der immer gewalttätiger und fremder werdenden Welt. Das Paradoxe: Orlock-Karloff weiß, dass er Mitschuld trägt an der bedenklichen gesellschaftlichen Entwicklung. Denn als Ikone des Horrors hat er gewissermaßen dazu beigetragen eine Gesellschaft zu schaffen, die nur durch immer neue und aufregendere Thrills und Horrorvisionen aus der selbstgewählten Lethargie erweckt werden kann…

Durch die beiden locker verknüpften Handlungsstränge kommentiert Bogdanovich beängstigende amerikanische Lebenswelten, geprägt durch Kino, Konsum und Kaltem Krieg. Dabei wird die überzeugend vermittelte Großstadt-Peripherie-Ästhetik zur deprimierenden Anklage gegen eine stupide konsumierende, phlegmatische Gesellschaft. Ein diesbezüglich treffendes Bild ist die Sequenz im Autokino. Unzählige Autos verharren gefühls- und regungslos vor der riesigen Leinwand. Was zählt ist einzig der Konsum… was bleibt, der isolierte Mensch. Unbegrenzte Freiheit wird zur Farce; der amerikanische Traum ist zu einem Alptraum geworden.

So zeichnet Bogdanovich eine triste und apathische Welt, aus der es lohnt sich schnellstmöglich zu verabschieden. Erstaunlicherweise gelingt es ihm dadurch Bobbys Ausbruch verständlich zu machen. Nicht der Amokläufer wird angeklagt, sondern die Gesellschaft, die ihn zu dem gemacht hat. Auf diese Weise erscheinen die Taten des Amokschützen überraschend nachvollziehbar. Mehr noch: die unzähligen Opfer des Amoklaufs werden bei Bogdanovich sogar zu Schuldigen. Sie alle haben die süßlich-affektierte Welt in der sie leben widerstandslos akzeptiert…

Bogdanovichs sterile, gefühlsneutrale Inszenierung des Schreckens macht „Bewegliche Ziele“ zu einem verstörenden Film-Erlebnis. Die nahezu vollständige Entdramatisierung des Gezeigten und die unheimliche Stille, die viele Bilder beherrscht, lassen die präzis koordinierten Tötungs-Aktionen Bobbys dabei umso beängstigender erscheinen.

Der etwas umständlich in die Handlung integrierte Orlock-Plot erweitert die anklagende Gesellschaftskritik um einen bitteren Seitenhieb auf die unterhaltungs- und profitorientierte Medienindustrie und verweist somit auch auf mögliche Gründe für den Ausbruch Bobbys. Bezeichnend, dass der Amok-Schütze am Ende des Films den Leinwand-Orlock mit dem Realen verwechselt; die Grenzen sind durch ständige Medienpräsenz fließend und für Viele kaum noch zu unterscheiden. Durch den beängstigend unauffälligen Übergang vom Leinwand-Horror zum realen Schrecken beschreibt Bogdanovich in „Bewegliche Ziele“ ganz beiläufig eine soziale und mediale Zäsur: Die Ära der großen Leinwandmonster ist ein für allemal vorbei. Traurig aber wahr, für große Teile des Publikums wirken die anachronistischen Überbleibsel dieser Zeit nur noch befremdlich und bestenfalls belustigend.

Und so ist „Bewegliche Ziele“, nicht zuletzt durch die vielen Filmzitate, stets auch als liebevolle Hommage zu verstehen, in der Bogdanovich, als exzellenter Kenner der Filmgeschichte, sehnsuchtsvoll auf jene Zeit zurückblickt, in der Film noch Vision war – Visualisierung des Unfassbaren, Möglichmachung des Unmöglichen. Eine Zeit die definitiv vergangen ist, angesichts einer Realität die grausamer ist als es der Film je war…

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Targets (USA / 1968)

R: Bogdanovich / K: Kovács / D: Bogdanovich


7 Antworten to “Bewegliche Ziele”


  1. 20. Juli 2011 um 06:19

    Wunderbar, dass du an „Targets“ erinnerst! Ich habe vor einiger Zeit – der Nostalgie nachgebend – angefangen, mir ein paar frühere Filme von Bogdanovich zuzulegen und war von den lange nicht mehr gesichteten „The Last Picture Show“ und „Paper Moon“ schlicht hingerissen. Sie wirken noch heute – und wie! Nach deiner verführerischen Besprechung muss auch „Targets“, den ich erst ein einziges Mal im Fernsehen sah, ran. Freue mich riesig auf den letzten Film mit Karloff. 🙂

  2. 11. August 2011 um 16:22

    Fantastische Rezension, in die ich aber doch einen kleinen Haken des Widerspruchs schlagen möchte. Anders als Du hatte ich bei BEWEGLICHE ZIELE nie den Eindruck, dass die Ikonen des Horrors tatsächlich ursächlich etwas erschaffen, also die Problematik dissoziierender Gesellschaftsmitglieder, sondern allenfalls mediale Endprodukte sind, im Stile einer viktorianischen Übersteigerung des Bösen gestaltet, die nach Abnutzung die Gesellschaft nicht mehr als Schrecken erreichen können, eben weil der von Schrecken des Alltages ein ursprünglich menschlicher ist und damit so viel gravierender und verdrängungswürdiger. Diese Kontrastierung zwischen Filmrealität und Alltagsrealität wird anhand der Medien deutlich, wenn im Anschluss an die Filmbetrachtung von Orlocks letztem Werk selbiger zu seinem jungen Regisseur sagt, er zeige ihm mal den wahren Schrecken und dann eine Zeitung hoch hält, in der über den jüngsten Amoklauf berichtet wird. Der eigentliche Schrecken der Gesellschaft läuft unabhängig vom Kino, ähnlich wie Bogdanovich die beiden Handlungsstränge lange disparat hält.

    • 11. August 2011 um 22:21

      Na, da sind wir uns doch einig: Abnutzung der Ikonen, Schrecken des Alltags gravierender, Kontrast zwischen Film und Alltag…
      Jedoch läuft für Bogdanovich der reale Schrecken – trotz „disparater Handlungsstränge“ – keineswegs unabhängig vom Kino / von den Medien ab… immer wieder verweist er auf diese Beziehung: Wenn die Familien im Dämmerzustand blödsinnigen Fernsehshows folgen und dadurch sozial abstumpfen, wenn die Leute sich fressend und fummelnd ins Autokino begeben und konsumieren anstatt zu rezipieren, wenn Regisseure lediglich nach Einspielergebnissen beurteilt werden und deswegen ständig versuchen müssen Grenzen zu überschreiten und Tabus zu brechen… So kritisiert Bogdanovich ganz klar die Medien und vor allem die Industrie, die dahintersteht; und macht sie somit auch für die Amokläufe (mit-) verantwortlich. So einfach es sich Bogdanovich mit dieser Aussage auch macht: Der Grund für die kranke Gesellschaft ist in „Bewegliche Ziele“ die Medienindustrie… also auch Kino und Karloff.

      • 11. August 2011 um 22:59

        Die Beziehung zwischen Medien und Gesellschaft will ich auch nicht abstreiten. Dass hier eine gegenseitige Beeinflussung stattfinden kann sehe ich auch so. Dass die Medien jedoch die Ursache für Gewaltbereitschaft und Dissozialität sein sollen wird hier, clevererweise, eben nicht herausgestellt, sondern allenfalls als reziprokes Bedingungssystem dargestellt. Keinesfalls will Bogdanovich uns einreden, dass die Gesellschaft in einem gewaltfreien Glücksbärchiland leben würde, gäbe es die Medien nicht. Vielmehr sind sie ein selbstgeschaffenes Produkt einer an realen Problemen desinteressierten Gesellschaft, welche nicht nur versucht den Thrill zu steigern, sondern auch mit seiner eigenen Realität bzw. dem Irrsinn in ihr auf diese Weise katharsisch klar zu kommen. Was man in der Kunst, bewusst und unbewusst, heraufbeschworen hat, lässt sich besser kontrollieren als die Komplexität der Realität. Eine Schuld der Medien liegt somit höchstens insofern vor, dass sie dieses Prinzip bedienen, doch würde man der Gesellschaft ihre Eskapismusmöglichkeiten nehmen, wie bspw. durch ein realkonfrontatives Programm, würde sie einfach umschalten. Das Waffengeschäft zu Beginn, die Waffensammlung der Familie, die noch größere Bobbys. Die USA sind auch so ein gewalttätiges Land, ohne irgendwelche Byron Orlocks oder andere künstliche Mythen.

  3. 12. August 2011 um 12:46

    „Reziprokes System“: Seh ich auch so und bin voll dabei…

    „Keinesfalls will Bogdanovich uns einreden, dass die Gesellschaft in einem gewaltfreien Glücksbärchiland leben würde, gäbe es die Medien nicht“: Seh ich etwas anders: Wir wissen, dass diese These unhaltbar ist. Trotzdem vertritt Bogdanovich, zumindest in „Bewegliche Ziele“, diese vereinfachte Sichtweise. Eben durch die ständigen, oben bereits erwähnten, fast schon penetranten Verweise auf die Ursache-Wirkung-Verzahnung von Medien (-nutzung) und Gewalt…

    Aber wie dem auch sei: Ich denke Bogdanovich versucht primär den – innerhalb von nur ein paar Jahrzehnten vollzogenen – gesellschaftlichen Wandel in den USA aufzuzeigen. Er blickt dabei sehnsüchtig auf eine Welt zurück, in denen Leinwandmonster schockierten und gegenüber den realen Schrecken noch eine Chance hatten – eben auch weil die realen Schrecken, aufgrund der geringeren Verbreitung DURCH die Medien nicht so stark ins Bewusstsein traten.
    Dem gegenüber stellt Bogdanovich eine Realität in der Werte verfallen; und eben als Begründung dafür führt er in „Bewegliche Ziele“ eine gefährlich Mixtur aus Konsum, Medienindustrie und sozialer Isolation auf. Kurzum: er zeigt eine Welt, die sozusagen der Gegenentwurf zu der Welt ist, in der Orlockarloff seine großen Erfolge feierte…

    • 12. August 2011 um 13:19

      Wo Du das Ursache-Wirkungs-Prinzip ausmachst leuchtet mir nicht ein. Zumal das dem Prinzip der Reziprozität entgegen läuft, da eine Ursache bei dieser Wechselhaftigkeit nicht mehr auszumachen ist. So verstehe ich auch Bogdanovichs Verschränkungen von Gewalt und Medien, die den Menschen in diesem selbstgeschaffenen System gefangen zeigen. Ein „Am Anfang war…“, oder eine andere hierarchisierte Kausalkette die mit einem Punkt 0 beginnt, vermag ich im Film einfach nicht auszumachen, zumal der Film mir durch seine unterkühlte Inszenierung auch völlig frei von solcherlei didaktischem Lehrstückcharakter schien. Auf jeden Fall werde ich auf den von Dir genannten Punkt bei einer nächsten Betrachtung noch mal genau achten. Bzgl. der Fakten und Vorgehensweise sind wir uns ja einig. Es scheint tatsächlich mehr eine Frage der Interpretation selbiger zu sein.

      • 12. August 2011 um 14:45

        Kausalkette: durchaus… es gab Zeiten, in denen die Leute sich vom Geschichtenerzähler beeindruckt haben lassen, es gab Zeiten in denen bewegte Bilder reichten, es gab Zeiten in denen ein Monster reichte usf.
        Punkt 0: Nein, Bogdanovich interessiert sich mehr für „evolutionäre“ Stationen der Mediennutzung.
        Aber, dass die Medien (-industrie) an der „kranken“ Entwicklung der Gesellschaft mitschuld trägt – faktisch sogar die VerURSACHER, für den eingeschlagenen Weg sind – das zeigt Bogdanovich in „Bewegliche Ziele“ deutlich. Und vertritt dabei, trotz der unterkühlten Inszenierung, auch zu meinem Erstaunen, eine ziemlich konservativ-belehrende Haltung…

        Aber du hast recht: Wahrscheinlich ist es, wie so oft eine Interpretationsfrage… In jedem Fall danke ich dir sehr für deine Einwände. Habe direkt Lust den Film gleich nochmal zu sichten…


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Unter den Blinden…

Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Kein Anspruch auf Richtigkeit. Pure Subjektivität eines Einäugigen...

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