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08
Mai
11

Vampyr – Der Traum des Allan Grey

Fernab von Filmindustrie und Studioproduktion schuf der avantgardistische Filmemacher Carl Theodor Dreyer mit „Vampyr – Der Traum des Allan Grey“, einen experimentellen Horrorfilm, der der Logik eines Traums folgt und auf unkonventionelle Weise Themen wie Bewusstseinserweiterung, Halluzination und Todeserfahrung behandelt. Mit geringem Budget ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht, erreicht Dreyer, auch durch teilweise extreme Stilisierung, eine erhabene irreal-illusionistische Atmosphäre.

Wie der Held aus einem Keaton-Film, betritt der naiv wirkende Beau, Allan Grey, scheinbar aus dem Nichts, eine Welt die er nicht versteht. Er kehrt in einen Gasthof ein und trifft dort auf seltsame Gestalten und Erscheinungen. Ein Buch über Vampirismus scheint Erklärungen für die verwirrenden Ereignisse zu geben. Grey stellt weitere Nachforschungen an und findet heraus warum die junge Tochter des Barons darbend auf den Tod wartet. Erst wenn er die Quelle des Unheils zerstört, kann die junge Frau gerettet werden. In einem Traum erkennt Grey die Lösung des Problems…

So simpel wie die in kurzen Sätzen rekapitulierte Handlung hier wirkt, ist sie in „Vampyr“ bei weitem nicht. Dies liegt vor allem an der extrem sprunghaften und unsteten Erzählweise, die vermeintlich keiner Logik folgt. Dreyer führt schlafwandlerisch durch seinen Film und erschafft dadurch -ähnlich wie Buñuel/Dalí mit „Ein andalusischer Hund“- die surreal-improvisierte Aura eines Traums. Im Gegensatz zur lockeren, scheinbar zufälligen Aneinanderreihung von Ereignissen in „Ein andalusischer Hund“, wirkt die umständliche Erzählstruktur von „Vampyr“ dabei jedoch eher sperrig und inkonsequent.

Auf visueller Ebene besticht „Vampyr“ dagegen durch unkonventionell-experimentelle Kameraführung und ausgefeilten Bildaufbau. Die oft verwinkelten Perspektiven, die gewagten (teilweise bis zu 360°-)Schwenks und die technisch einwandfreien Verfolgungen tragen dazu bei, die Gegenwärtigkeit eines jeden Augenblicks –fernab von Bewusstseins- und Handlungslogik- nochmals zu betonen. So entsteht ein atmosphärisch dichtes, traumähnliches Gebilde, das durch den zusätzlichen Verzicht auf plausible Erklärungen der Ereignisse noch an Mystik gewinnt. Ob es sich bei den geschilderten Vorkommnissen wirklich um Fälle von Vampirismus handelt, oder ob sich Grey alles erträumt, lässt Dreyer völlig offen. Lediglich der Ansatz einer Lösung ist erkennbar.

Anders als in den etwa zur gleichen Zeit entstandenen Universal Horror-Ikonen „Dracula“ (1931), „Frankenstein“ (1931), „Die Mumie“ (1932), „Der Unsichtbare“ (1933) o.a. ist für Dreyer -neben der Plausibilität der Handlung- auch die Faszination des Schreckens nicht im Geringsten relevant. So vermeidet er in „Vampyr“ explizit jegliche Ausstellung des Grauens – kein Akt der Gewalt, keine kreischenden Frauen, keine Schockelemente… Was Dreyer dem Zuschauer bietet ist reiner psychologischer Horror.

Eine diesbezüglich beeindruckende Sequenz, ist die, in der der träumende Grey seine eigene Beerdigung miterlebt: Mit weit aufgerissenen Augen blickt er durch ein kleines Fenster aus seinem Sarg. Aus Greys Perspektive, der Perspektive eines Toten, erleben wir den Weg zum Friedhof – Bäume, Häuser und das Kirchengebäude ziehen unaufhaltsam vorüber. Eine beängstigende klaustrophobisch-verzweifelte Spannung baut sich auf – der Albtraum des eigenen Todes.

Dabei gilt zu beachten, dass Dreyer stets eine Identifikation mit seiner Hauptfigur vermeidet. Zwar sieht der Zuschauer die Ereignisse des Films faktisch mit den Augen Greys, doch scheint ständig eine nebulöse Trennscheibe zwischen Kamera und Protagonisten zu liegen. Eine merkwürdige Distanz ist spürbar. Oft wirkt es als löse sich Grey förmlich in den impressionistischen Landschaften auf. Meist ist es eine Überraschung, dass er überhaupt wieder auftaucht…

Trotz der vielen subtilen psychologisch-psychoanalytischen Ansätze, verfällt Dreyer auch immer wieder auf einfache filmische Taschenspielertricks, die an frühe Filme der Lumières und Méliès erinnern; so wenn Schatten scheinbar eigenständig über die Wand gleiten, oder rückwärtsabgespielte Aufnahmen Verwunderung erregen sollen. An diesen Stellen wirkt „Vampyr“ oft unfreiwillig komisch. Auch die miserable Tonqualität des Films, mit teilweise kaum zu verstehenden, sich überspitzt artikulierenden (Laien-)Darstellern und dem unbeholfenen Einsatz von Musik und Geräuschen, verweist immer wieder auf das geringe Budgets des Films; aber auch auf die zeitliche und stilistische Nähe zum Stummfilm. Hinzu kommt, dass „Vampyr“, ähnlich wie „Nosferatu“ (1922) oder „Das Cabinett des Dr. Caligari“ (1920), seine Plot-inhärente Glaubwürdigkeit aus einem Buch generiert. Die Folge: ungewöhnlich lange Textpassagen, die den Fluss der Handlung abermals unterbrechen… Dennoch verstärken letztlich auch diese vermeintlichen Unzulänglichkeiten die oben erwähnte, bewusste Distanzierung, um dem Zuschauer das unbestimmte Gefühl eines Traums zu vermitteln.

Dies alles macht „Vampyr“ –stets mehr Traum als Film- zu einem außergewöhnlichen Vorreiter auf dem Gebiet des psychologischen Horrors. Auf unvergleichliche Weise entsteht durch improvisierte Perfektion ein bildgewaltiger, surreal-verstörender Film, der die Begrenztheit des Verstandes ausklammert, um unbewussten Schrecken zu erzeugen. Ein in jeder Hinsicht bewundernswertes Kleinod der Filmgeschichte.

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Vampyr – Der Traum des Allan Grey (D / F / 1932)

R: Dreyer / K: Maté / D: Dreyer (nach Le Fanu)

20
Dez
10

L’âge d’or – Traumhaft skandalös

Lya Lys in "Das Goldene Zeitalter"

L’âge d’or ist der einzige Film meiner Karriere, den ich in einem Zustand der Euphorie, voll Enthusiasmus und Zerstörungsrausch drehte, in dem ich die Vertreter der Ordnung angreifen und ihre ewigen Prinzipien lächerlich machen wollte, mit diesem Film wollte ich absichtlich einen Skandal herbeiführen“ (Luis Buñuel).

Dieses Ziel erreichte Buñuel. „Das goldene Zeitalter“ kam, wie „Ein andalusischer Hund“ im Pariser Studio 28 heraus, lief sechs Tagen vor ausverkauften Haus und musste dann nach Protesten der konservativen Presse und Überfällen von radikalen, rechtsgerichteten Gruppierungen abgesetzt werden. Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung verbot der Pariser Polizeipräfekt den Film völlig. Dieses Verbot blieb 50 Jahre in Kraft; erst 1980 wurde der Film in New York wiederaufgeführt, 1981 in Paris.

Das war der Skandal den sich Buñuel so sehnlich gewünscht hatte…

1. Technisches

Gedreht wurde „Das goldene Zeitalter“ hauptsächlich in den Ateliers von Billancourt, die Außenaufnahmen entstanden in der tristen Felsenlandschaft Kataloniens (in der Nähe von Cadaqués) und bei Paris. Diverse Künstler hatten kleine Gastauftritte, was den starken Zusammenhalt der surrealistischen Gruppe zu dieser Zeit verdeutlicht. So spielt Max Ernst den Räuberhauptmann, Pierre Prevent den kranken Räuber und Valentine Hugo ist in der Salonsequenz zu sehen…

„Das Goldene Zeitalter“ besitzt – für einen Avantgarde-Film nicht selbstverständlich – einen erstaunlich hohen technischen Standard. Neben einigen anspruchsvollen Kamerafahrten (wie etwa die Verfolgung des (leeren) Kleides, durch den Flur der Residenz), beeindruckt vor allem der Einsatz des Tons – gerade in dieser Umbruchzeit zwischen Stumm- und Tonfilm.

Bei „L’age d’or“ handelt es sich um einen der ersten französischen Tonfilme überhaupt. Und trotzdem man damals dem Medium Tonfilm eher unbeholfen gegenüberstand, setzte Buñuel die neuen Möglichkeiten sehr geschickt ein (bspw.: der Schrei aus dem Off bei der Grundsteinlegung, oder diverse pointierte musikalische Einschübe).

2. Handlung

„Das goldene Zeitalter“ ist sprunghaft-episodisch aufgebaut. Der Film beginnt mit einem kurzen Dokumentarfilm über Skorpione. Anschließend steht eine Räuberbande, die in einer unwirtlichen Felslandschaft ihr Hauptquartier aufgeschlagen hat, im Mittelpunkt des Geschehens. Die Verbindung von Skorpion- zur Räubersequenz ist, wenn überhaupt, einzig über die karge, felsige Umgebung herzustellen. Ein Räuber entdeckt schließlich auf einer kleinen Insel einige kirchliche Würdenträger; woraufhin die gesamte Räuberbande zu dieser Stelle aufbricht, an der dann jedoch nur noch die Gerippe der Kirchenmänner und ihr prunkvolles Ornat zu sehen sind.

Die Handlung springt erneut. Diesmal dreht sich alles um eine festliche Grundsteinlegung mitten in der tristen, Felsenlandschaft. Eine große Menschengruppe – ein Querschnitt durch die Gesellschaft – pilgert zu der Stelle, an der die ewige Stadt Rom gegründet werden soll (!). Die Begrüßungsrede des Vorsitzenden wird aber jäh durch einen Schrei unterbrochen, der die Aufmerksamkeit auf ein sich liebkosendes Paar (gespielt von Gaston Modot und Lya Lys) lenkt, das sich wollüstig im Schlamm wälzt. Aufgebracht stürmen die Leute heran um die Liebenden zu trennen und die ihnen vertraute (Gesellschafts-) Ordnung wieder herzustellen. Von da an bildet das gewaltsame Trennen des Liebespaares den roten Faden im Film. Immer wieder wird das sich vereinende Paar durch die etablierten Ordnungsmächte (Kirche, Militär, Familie, Moral) gewaltsam am Vollzug ihrer Liebe gehindert. Auch zum Ende des Films verhindern höhere, nicht erkennbare Mächte das Zusammenkommen der beiden Protagonisten.

Den Schlusspunkt des Films bildet schließlich ein kurzer Epilog, in dem die Überlebenden einer 120 Tage lang andauernden Orgie auf Schloss Selligny gezeigt werden. Anführer und letztlich einzig Überlebender ist Jesus Christus…

3. Erzählweise

Trotz dieser Sprunghaften, unkonventionellen Erzählstruktur, mit teilweise sehr diffusen, die Handlung unterbrechenden Schrift-Inserts (bspw.: „einige Stunden später“ oder „Manchmal an Sonntagen“), schafft es Buñuel doch auf poetische, suggestive und gefühlvolle Weise Verbindungen zwischen den Sequenzen herzustellen, um die oberflächlich recht brutal wirkende Episodenhaftigkeit abzumildern und in einen Fluss zu bringen, der der Filmhandlung letztlich eben doch ihre Einheit gibt. So z.B. die Verbindung zweier völlig unterschiedlicher, aufeinander folgender Sequenzen einzig durch die Felsenlandschaft oder die Verknüpfung unterschiedlicher Zeiten und Orte durch einzelne Personen usf.

Diese Vorgehensweise erinnert stark an die Charakteristik eines Traums, in dem ebenfalls ganz marginale Nebensächlichkeiten zum Hauptsächlichen, zum Mittelpunkt werden können. Buñuel schafft es dem Film diese Freiheit des Traums zu geben. Ihm ist das etablierte, lehrbuchmäßige Erzählen einer Handlung nicht wichtig, sondern er verknüpft über ganz unterschiedliche, manchmal winzig kleine, kaum zu entdeckende Nahtpunkte ganze Welten.

4. Wirkung

„Das goldene Zeitalter“ wirkte aus verschiedenen Gründen so stark auf das zeitgenössische Publikum. Zum einen beinhaltet der Film eine ganze Flut an, für die damalige Zeit, sehr gewagten Aufnahmen. Zum anderen bricht Buñuel zahlreiche gesellschaftliche Tabus, wie etwa: Jesus Christus als treibende Kraft einer 120 Tage währenden Orgie, öffentlich zur Schau gestellte Wollust des Liebespaares, Fußtritte gegen einen Blinden und (für Viele noch schockierender) gegen einen kleinen Hund usf.

Darüber hinaus verletzt er auch diverse Bildtabus. So gibt es viele, fetischisierende, erotische Einstellungen, wie etwa das lustvolle Lutschen der Protagonistin an einer verkrüppelten Hand, oder an dem Zeh einer Statue. Weitere Bildtabus sind etwa das Erschießen eines kleinen Kindes durch den eigenen Vater und nicht zuletzt das benutzen einer Toilettenspülung; was es vorher wohl noch nie (und nachher lange Zeit nicht mehr) im Kino zu sehen gab.

Kurzum das zeitgenössische bürgerliche Publikum war schockiert.

5. Gesellschaftskritik

Vergleicht man die beiden zeitlich nah beieinander liegenden Filme „Ein andalusischer Hund“ (1928) und „Das goldene Zeitalter“ (1930) so ist auf den ersten Blick festzustellen, dass das soziale Engagement in „Das goldene Zeitalter“ viel stärker in den Vordergrund tritt. Die eher spielerischen Momente aus „Ein andalusischer Hund“, die wohl hauptsächlich Salvador Dali zuzuschreiben sind, verschwinden fast gänzlich. Ist „Ein andalusischer Hund“ noch die Tragödie der Begierde eines Individuums; so geht es im „Goldenen Zeitalter“ um den Widerstreit und die Unvereinbarkeit zwischen den Forderungen der Liebe und denen des gesellschaftlichen Lebens. Ob diese Haltung Buñuels nun als revolutionär oder gar umstürzlerisch zu bezeichnen ist, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass er den Skandal hauptsächlich als inszenatorisch-künstlerisches Mittel zum Selbstzweck suchte.

Nichtsdestotrotz ist „Das goldene Zeitalter“ ein radikaler Angriff auf die bestehende gesellschaftliche Ordnung. Der Film richtet sich unverhohlen gegen Religion, Vaterland, Bourgeoisie, Keuschheit, sexuelle Unterdrückung und Familie. All dies wird dem Spott preisgegeben; einzig annehmbar ist „die wilde, anarchistische, irrationale Liebe“, die „den verknöcherten Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft“ als alleiniger Lösungsansatz entgegengestellt wird (Vgl.: Vogel).

Und so bezeichnet Buñuel „Das goldene Zeitalter“ auch als verzweifelten Aufstand der Liebe. Sehnsucht und Begierde verbinden sich mit der maßlosen und verzweifelten Anklage gegen die bestehende Gesellschaftsordnung…

(-April 2006-)

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L’âge d’or (F / 1930)

R: Buñuel / K: Duverger / D: Buñuel




Unter den Blinden…

Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Kein Anspruch auf Richtigkeit. Pure Subjektivität eines Einäugigen...

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