01
Okt
10

Die Träumer – Typisch Bertolucci?

Sex, Drugs and Cinémathèque francaise

Bertoluccis Film „Die Träumer“ ist keine bloße Liebeserklärung ans Kino, keine Hommage an Paris oder an die Jugend, kein Tribut an den Sex oder die Aufbruchstimmung oder das Leben oder die Freiheit. Bertoluccis Film ist eine Liebeserklärung an all das zusammen.

Frühling ’68: Der schüchterne Amerikaner Matthew trifft vor der Cinématèque francaise auf Isabelle, die zusammen mit ihrem Zwillingsbruder Theo in Paris lebt. Die Drei kommen sich schnell näher. Als die Eltern der Geschwister in den Urlaub fahren, zieht Mathew bei ihnen ein. In der Wohnung der Eltern führen „Die Träumer“ ein Leben ohne Tabus, verbunden durch die Liebe zum Kino und die Liebe zueinander. Sie leben in einer abgeschlossenen Welt, die jedoch jäh zusammenbricht. Als sie von den 68er Ereignissen eingeholt werden, stellen sie fest, dass sie in einer Zeit des Aufbruchs leben und beteiligen sich an den Straßenkämpfen, was letztlich zu einer endgültigen Trennung führt. Pflasterstein flieg…

Im Verlauf des Films legen die drei Hauptfiguren -neben ihren Körpern- auch ihre Seelen frei. So lernt der Zuschauer die Menschen hinter der Fassade kennen und erfährt, dass Matthew in Isabelle verliebt ist, dass Theo eifersüchtig ist und dass Isabelle ihren Bruder doch mehr liebt als Matthew.

Die Konkurrenz von Matthew und Theo wird auch immer wieder an ihren Disputen verdeutlicht. Während Theo der Meinung ist Chaplin sei der Größte, beharrt Matthew auf Keaton [und er hat Recht]. Während Theo für Eric Clapton schwärmt, ist Matthew Hendrix-Fan. Der Gegensatz zwischen Matthew und Theo scheint unauflösbar (Keaton vs. Chaplin; Hendrix vs. Clapton; stiller Revolutionär vs. Lauter Revoluzzer; Amerikaner vs. Franzose; blond vs. dunkel; Gandhi vs. Mao…). So ist eigentlich von Anfang an klar, dass es keine gemeinsame Zukunft der Drei geben kann.

„Die Träumer“ ist keine historische Beschreibung der Pariser Ereignisse von 1968, es ist eher eine Psychostudie. Ein Film der nicht mit pompösen Bildern protzt, sondern die Intimität und Intensität eines Kammerspiels bevorzugt. Diese intensive Wirkung wird jedoch stark eingeschränkt durch die dürftige Leistung der „Schauspieler“, einzig Eva Greene (Isabelle) weiß an manchen (Körper-) Stellen zu überzeugen. Man nimmt ihr die Frivolität, die gespielte Angepasstheit und die Verzweiflung am ehesten ab. Wohingegen Leonardo Di Caprio-Klon Michael Pitt oft eine unfreiwillig komische, weil überzogene schauspielerische Leistung abliefert (letztendlich scheinen anatomische Vorzüge die Wahl der Schauspieler eher beeinflusst zu haben, als ihr Können).

Nichtsdestotrotz ist „Die Träumer“ ein humorvoller Film, der immer wieder mit unerwartet witzigen Momenten aufwartet und das Lebensgefühl einer Generation vermittelt (nicht zuletzt durch den Einsatz von Musik). Auch die kunstvollen Kameraperspektiven, besonders in Verbindung mit den diversen Spiegeln der Wohnung, sind sehenswert – eine der stärksten Einstellung in Film ist die „Badewannen-Unterhaltung“, in der alle drei in der Wanne liegen und nur über den als Triptychon angebrachten Spiegel zu sehen sind.

Oberflächlich betrachtet ist „Die Träumer“ eine Hommage ans Kino. Ausschnitte aus Klassikern der Filmgeschichte lassen die Herzen von Cineasten höher schlagen. Beispiele hierfür sind Sequenzen aus „Scarface“, „Queen Christine“, „A bout de souffle“ oder „Freaks“. Dies verdeutlicht den persönliche Ansatz den Bertolucci für seinen Film (der wahrscheinlich auch autobiografische Züge trägt) gewählt hat. Je mehr sich die Handlung des Films jedoch entfaltet, je politischer das Thema wird, desto weniger steht das Kino im Mittelpunkt. So wird aus der Liebe zum Cinéma schließlich eine Perversion, bspw. wenn Theo vor einem Marlene Dietrich Bild onaniert.

„Die Träumer“ ist ein sehr offener und freizügiger Film, der häufig eben durch diese Direktheit schockiert. Alles in bester Tradition von „Der letzte Tango von Paris“, vermischt mit dem revolutionären Pathos von „1900“. So ist „Die Träumer“ letztendlich eher ein Abgesang, als eine Hommage ans Kino; verbunden mit der (revolutionären) Aufforderung den eigenen Traum nicht zu träumen, sondern ihn zu leben. Jaja, die 68er…

(geschrieben: Dez. 2003)

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The Dreamers (F / GB / ITA / 2003)

R: Bertolucci / K: Cianchetti / D: Adair


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Unter den Blinden…

Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Kein Anspruch auf Richtigkeit. Pure Subjektivität eines Einäugigen...

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