01
Okt
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Blicke aufs Meer – Eindrücklich

„Blicke aufs Meer“: ein Film der fast ausschließlich über die Hauptdarstellerinnen funktioniert. Der Zuschauer wird ohne Rücksicht auf Pietät und Scham mit den Charakteren dieses Films konfrontiert. So entsteht eine außerordentliche Nähe, die im Verlauf des Films zwischen Mitgefühl, Vertrautheit, Sympathie und Ekel changieren wird.

Francois Ozon zeigt keine glanzvollen, durchgestylten Retortenwesen, sondern objektiv gewöhnliche Frauen. Die beiden Hauptdarstellerinnen wirken nicht überhöht und extravagant oder gar einzigartig. Sie erscheinen unfertig und gebrochen, aber eben doch einfach, schlicht, geradezu normal. Eben durch diese Taktik fällt es dem Zuschauer leichter sich auf die Charaktere einzulassen, um letztendlich einen umso größeren Schock versetzt zu bekommen, wenn das vermeintlich bekannte Verhalten letztendlich von der Norm abweicht. Dabei erscheinen diese Schockelemente im Film anfangs übertrieben, gewollt und stellenweise unmotiviert, erklären sich aber in Hinblick auf das Ende als düstere Vorahnung.

Ozons Film wirkt an manchen Stellen wie eine Fortsetzung zu „Persona“ (SWE / 1966). Neben der Leere und Einsamkeit der Ferienwohnung, fällt besonders die Unterschiedlichkeit der Charaktere auf; die sich jedoch im Verlauf beider Filme immer näher kommen (so gibt es in „Persona“ einen intimen Dialog zwischen Elisabeth und Alma, in dem es um ein spontanes Sexerlebnis an einem Strand geht; in Ozons Film wird dieser Dialog in Bilder umgesetzt). In beiden Filmen wird mit Masken gespielt; sie werden aufgesetzt, ausgetauscht und schließlich heruntergerissen. Nie kann sich der Zuschauer sicher sein: Traum oder Realität?

„Blicke aufs Meer“ ist ein verstörender Film. Jedoch verstören weniger die krassen Schockelemente, als das langsame, aber stete Umkippen einer scheinbar normalen Situation. Ozon gelingt mit seinen Hauptdarstellern ein Spiel zwischen Nähe und Abgrenzung, es bleibt stets ein latentes Gefühl der Unterkühltheit, des Unnahbaren und des Widerwärtigen. Erst am Ende befreit der verstümmelte Leib der Mutter den Zuschauer endlich von dieser Ungewissheit.

(geschrieben: Nov. 2005)

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Regarde la mer (F / 1997)

R: Ozon / K: Le Saux / D: Ozon


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Unter den Blinden…

Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Kein Anspruch auf Richtigkeit. Pure Subjektivität eines Einäugigen...

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