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Aronofskys Black Swan

In Darren Aronofskys neuestem Film „Black Swan“ geht es -wer hätte es gedacht- erneut um den verzweifelten Versuch der Selbstfindung eines zerbrechlichen Individuums. Wieder sind Disziplin, Aufopferung und Selbstaufgabe wichtige Aspekte dieses Themas und wieder entsteht eine außergewöhnliche Nähe zwischen Filmfigur und Publikum.

Natalie Portman, Black SwanIm Mittelpunkt der Handlung steht die zierliche Balletttänzerin Nina Sayers. Sie hat ihr noch junges Leben völlig dem Ballett geopfert und bekommt nun die größte Chance ihres Lebens – die Hauptrolle in „Schwanensee“. Doch vorher muss sie sich mit ihrer überfürsorglichen Mutter, ihrem Ballett-Regisseur, ihrer Konkurrentin/Kollegin/Freundin Lilly und vor allem mit sich selbst und ihrer psychischen Störung auseinandersetzen. Was ihr bleibt um ihren Problemen zu entfliehen ist die Kunst. So scheint sich Nina im Verlauf des Films mehr und mehr selbst aufzugeben, um vollends mit ihrer Rolle zu verschmelzen.

Aronofsky schafft es scheinbar mit Leichtigkeit, die Qualen und den unglaublichen Druck der auf Nina lastet, präzise und schonungslos darzustellen. Mit der für ihn typischen verfolgenden „Nacken-Kamera“ und vielen subjektiven Einstellungen ist der Zuschauer stets nah am Geschehen und bekommt eine Ahnung wie viel Kraft und Energie Nina in ihren großen Traum investiert. Diese extreme Nähe wirkt in ihrer Drastik und Eindringlichkeit oft verstörend und tut manchmal geradezu körperlich weh.

Die psychischen Wahnvorstellungen Ninas werden im Verlauf des Films durch das stetig wiederkehrende Spiegelmotiv vorbereitet. Gleichzeitig schafft es Aronofsky durch den geschickten Einsatz von surrealen Momenten und vereinzelten Schockeffekten, das Abdriften in die Schizophrenie routiniert nachzuzeichnen. Dabei spielt er oft mit der Wahrnehmung des Zuschauers und lässt jederzeit offen wie weit Ninas Krankheit fortgeschritten ist. Gerade der Einsatz der subjektiven Sicht Ninas bietet sich für diese wahrnehmungsrelevanten Vexierspiele förmlich an. Oft fühlt man sich an Polanskis Protagonisten erinnert, die ebenso langsam und für den Zuschauer nicht jederzeit nachvollziehbar ihre Persönlichkeitsstörungen aufbauen; sei es Carole in „Ekel“ (1965), sei es Trelkovsky in „Der Mieter“ (1976) oder Rosemarie in „Rosemaries Baby“ (1968).

Doch während sich Polanski voll und ganz auf seine Protagonisten konzentriert und die psychischen Störungen in allen Phasen des Films geradezu seziert, wird diese Ebene in „Black Swan“ nicht voll durchgespielt. Und so schwankt der Film stark zwischen Psychothriller, Tanzfilm, Selbstfindungsdrama und Horrorschocker. Es scheint als wollte der Regisseur zu viel. Nina hat Schwierigkeiten in ihren Beziehungen zu ihrer Mutter (Anklänge an Hanekes „Die Klavierspielerin“ sind offensichtlich), ihrer Konkurrentin, und ihrem Lehrer; darüber hinaus muss sie noch erwachsen werden, ihre Sexualität entdecken, die größte Rolle ihres Lebens tanzen und mit ihrer Persönlichkeitsstörung klarkommen. Ein bisschen viel für nur einen Film…

Denn weder bei den diversen Nebencharakteren, noch bei Nina selbst werden Intentionen und Beweggründe nachvollziehbar. Oft legt Aronofsky einfach die Kitsch-Schablone an, um möglichst schnell möglichst eindimensionale Charaktere zu zeichnen. Man meint fast, dass es dem Film besser getan hätte, einige dieser Konflikte auszublenden, um einen genaueren und intimeren Zugang zum Seelenleben Ninas zu finden; anstatt eine überladene Filmhandlung mit einer Vielzahl an Stereotypen abzuerzählen.

Und so bleibt „Black Swan“ leider oft sehr flach: die von Anfang an klare Handlungsrichtung, die wiederholten Erklärungen des „Schwanensee“-Plots, das unglaublich penetrant vorbereitete und ausgebreitete Spiegelmotiv und die stets dunklen, dämonischen Doppelgänger sind weitere Beispiele für diese überdeutliche Inszenierungsmethode. Stets wird überdrastisch visualisiert; jede Emotionalität wird exzessiv ausgekostet. Und wenn auf der Tonebene zum wiederholten Mal „beängstigende“ Atemgeräusche schockierende Einstellungen paraphrasieren, wirkt „Black Swan“ teilweise auch unfreiwillig komisch.

Was in „The Wrestler“, aufgrund der Grobschlächtigkeit des Protagonisten sowohl filmisch als auch erzählerisch noch wunderbar funktionierte, geht bei „Black Swan“ leider daneben; eben weil man mehr erwartet als eine erneute Parabel des Scheiterns eines sympathischen, verletzlichen Außenseiters. Die Taktik große Teile der Handlung ins Innere der Protagonistin zu verlegen, wirkt eher wie ein schlechter Versuch den Makel des Imitats zu kaschieren… und so scheitert „Black Swan“ letztlich am eigenen Ansatz, an der überladenen Handlung und der damit verbundenen unbefriedigenden Oberflächlichkeit.

Nichtsdestotrotz ist „Black Swan“ eine sehr geschickte, in sich selbst gespiegelte moderne „Schwanensee“-Interpretation, in der stets auch märchenhafte Momente mitschwingen. Die emotionale Darstellung von Selbstwerdung und Selbstaufgabe ist -nicht zuletzt durch das intensive und unprätentiöse Spiel Natalie Portmans- tief bewegend. In jedem Fall stellt der Film eine interessante Reflexion über die Unauflösbarkeit von Traum, Realität und Kunst dar. Doch bleibt am Ende leider nicht mehr übrig, als ein oft zwischen Mädchen- und Altherrenfantasie schwankendes Selbstfindungsdrama, das die vielen interessanten Ansätze allzu leichtfertig verspielt.

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Black Swan (USA / 2010)

R: Aronofsky / K: Libatique / D: Heyman


3 Antworten to “Aronofskys Black Swan”


  1. 1 kulii
    14. Juni 2012 um 14:15

    Ich finde, man weiß immer gar nicht, wie man über diesem Film denken soll…einerseits ist es so komplex, dass man davon quasi überrollt wird und am Ende nur denkt „Wow“. Andererseits denke ich mir manchmal auch „Ist das nicht einfach zu krass?“


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Unter den Blinden…

Kein Anspruch auf Vollständigkeit. Kein Anspruch auf Richtigkeit. Pure Subjektivität eines Einäugigen...

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