In „Der Weg, der zum Himmel führt“ beschäftigt sich Luis Buñuel fast ausschließlich mit einer einfachen Busreise, die für den Protagonisten zu einer mühevollen Odyssee wird. Ähnlich wie später in „Der Würgeengel“ (1962) oder in „Die Illusion fährt mit der Straßenbahn“ (1954), lässt Buñuel eine Vielzahl an Charakteren auf beengtem Raum agieren und zeichnet auf diese Weise mit einfachen Mitteln ein karikiert-komprimiertes Gesellschaftsporträt. Im Verlauf der Handlung wird der Zuschauer so Zeuge von Aggression, Verzweiflung, Eifersucht, Sexualität, Hochzeit, Geburt, Beerdigung, Wahlkampf, Vergebung, Missgunst… Kurzum: Buñuels Busfahrt wird zu einem Sinnbild des Lebens…
Wie die Mehrzahl der in Mexiko entstandenen Filme Buñuels, besitzt auch „Der Weg, der zum Himmel führt“ eine relativ simple Geschichte, die mit geringem Budget und durchschnittlichen Schauspielern unaufgeregt aberzählt wird: In seiner Hochzeitsnacht erfährt der mittellose Bauernsohn Oliviero, dass seine Mutter im Sterben liegt. Unverrichteter Dinge begibt er sich zu ihr, denn seine durchtriebenen Brüder hoffen auf das Erbe. Die Mutter, die Oliviero den Großteil des Erbes zusprechen möchte, fordert ihn auf schnellstmöglich in die Stadt zu fahren um einen Notar zu holen, der die korrekte Verteilung des Erbes garantiert. Ein Rennen gegen die Zeit beginnt…
Schnell wird klar, dass Buñuel die dramatische Handlung lediglich als Aufhänger benutzt, um die mannigfaltigen Ereignisse während der Busreise zu motivieren. Auch deshalb wirkt „Der Weg, der zum Himmel führt“ im Grunde genommen wie eine lose Aneinanderreihung von überspitzt dargestellten, amüsanten Episoden, in denen ein exemplarischer Querschnitt der mexikanischen Gesellschaft alle erdenklichen Gefühlswelten durchlebt, um auf diese Weise zu einer fröhlichen Zweckgemeinschaft zusammenzuwachsen. Man lernt sich kennen, man arrangiert sich, man hilft sich, man liebt sich – in der vermeintlichen Nichtigkeit des Erzählten liegt dabei der eigentliche Charme des Films…
Einzig Oliviero kann die fröhliche Reise nicht genießen, denn für ihn wirken die vielen heiteren Nebensächlichkeiten der Busfahrt wie Prüfungen, die ihn davon abhalten sein Ziel zu erreichen. Nur durch ihn und seine Situation wird Dramatik aufgebaut, die jederzeit hintergründig durchschimmert. Es ist beeindruckend wie Buñuel es schafft, trotz der lustspielartigen Handlung, das drohende Ableben der Mutter immer präsent zu halten. So überschattet der Tod scheinbar allgegenwärtig das Geschehen; wodurch die Trennlinie zwischen Komödie und Tragödie immer mehr verwischt.
Weiterhin auffällig ist, dass Buñuel stets mit den Augen eines Europäers auf die mexikanischen Sitten und Gepflogenheiten zu blicken scheint. Ähnlich wie in seinem „Dokumentarfilm“ „Land ohne Brot“ (1933), wirkt die Herangehensweise des stolzen Spaniers dabei stets erhaben, aber auch auf sonderbare Weise überheblich. Dessen ungeachtet zeichnet Buñuel in seinem gesamten mexikanischen Oeuvre ein einzigartiges Zeitbild mexikanischer Lebensart und infiziert zudem fast spielerisch vermeintlich leichte Unterhaltungskost mit künstlerischem Anspruch.
Gerade „Der Weg, der zum Himmel führt“ ist diesbezüglich bezeichnend. Denn obwohl Buñuel, wie in den meisten seiner frühen mexikanischen Filme, stilistisch einen dokumentarischen Ansatz vertritt, offenbart sich der dezent-surreale Charakter seiner Erzählweise durch subtile, kaum wahrnehmbare, aber stete Nadelstiche – etwa durch besondere Bilder, merkwürdige Handlungsmotivationen oder überraschende Auflösungen. Im Gegensatz zu seinem Spätwerk, in dem er sich immer wieder mit krassen, surrealen Schock-Momenten von der Handlung entfernt und den Stilbruch förmlich herausbrüllt – Momente, in denen sich dann das wissend kichernde Bildungsbürger-Publikum im Kinosaal gegenseitig zunickt –, wirken Buñuels mexikanische Filme deshalb auf angenehme Weise zurückhaltend. Es ist, als liege lediglich ein surrealer Schleier über den Bildern.
Nichtsdestotrotz enthält „Der Weg, der zum Himmel führt“ auch offensichtlich Surreales. Diesbezüglich am auffälligsten ist sicherlich die Sequenz, in der der Held von der Verführerin Raquel träumt: Der Bus verwandelt sich in einen Dschungel; schnelle Szenenwechsel stiften Verwirrung; Äpfel, Schlangen und Monumente spielen eine Rolle – Buñuel in seinem Element. Dennoch wirkt dieses surreale Zwischenspiel sehr gut in die vermeintlich realistische Gesamthandlung integriert.
Und so schafft Buñuel mit „Der Weg, der zum Himmel führt“ einen unprätentiösen, liebenswert-optimistischen Film, in dem die Schwierigkeiten und Prüfungen des Lebens mit stoisch-fatalistischer Gelassenheit besiegt werden. Ein vollgepacktes aber jederzeit unaufgeregtes Sammelsurium von Banalitäten, das scheinbar alle Aspekte des Lebens berührt. Oder anders: Ein sympathisch-belangloses Geschichtchen mit universeller Substanz…
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Subida al cielo (MEX / 1952)
R: Buñuel / K: Phillips / D: Altolaguirre